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Alfred Döblin DIE GESCHICHTE VOM FRANZ BIBERKOPF

Mit: Andreas Leupold, Jule Böwe, Andreas Schmidt, Astrid Meyerfeldt, Otto Mellies, Dieter Mann, Arta Adler, Florian Martens, Sven Plate, Detlef Bierstedt, Milan Peschel, Till Hagen, Rolf Zacher, Maria Kwiatkowsky, Brigitte Grothum, Tilla Kratochwil, Bernd Stegemann, Klaus Herm, Jörg Steinberg, Sonja Hermann, Kai-Uwe Kohlschmidt, Leo Vornberger, Musa Kohlschmidt & Kai Grehn, sowie mit den Berliner Schriftstellern Thomas Brussig, Tanja Dückers, Judith Hermann, Johannes Jansen, Katja Lange-Müller, Steffen Mensching & Torsten Schulz
Komposition: Kai-Uwe Kohlschmidt & TARWATER
Glasharfe: Dan Pelleg & Marko E. Weigert
Ton & Technik:Daniel Senger, Bernd Bechtold, Waltraud Gruber, Venke Decker & ZAP
Regieassistenz: Nicole Paulsen
Länge: 82 min
Dramaturgie: Hans-Burkhard Schlichting
Regie: Kai Grehn
Eine Produktion des Südwestrundfunks mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg, dem Bayerischen Rundfunk & dem Patmos Verlagshaus 2007
Hörbuch-CD bei Patmos Verlagshaus, 2007 | 16,95 Euro | ISBN 3-936165-86-6
DVD „Berlin Alexanderplatz“ + Hörbuch-CD | Arthaus, 2008 | 17,95 Euro | EAN 4006680041896

BIBERKOPF: Und jetzt trink ich noch ne Molle und noch eine und noch eine und noch immer eine. Denn warum soll der Mensch ooch anständig sein, man ist doch von lauter Kruppzeug umgeben, es hat doch alles keenen Zweck, und was de tust is fürs Dreck.

Franz Biberkopf, früher Zement- und Transportarbeiter, will nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ein anständiger Mensch werden. So steht er auf dem Alexanderplatz des alten Berlin und betreibt seine kleinen Handelsgeschäfte. Anfangs geht alles gut, aber die Zeiten sind schlecht. Biberkopf hat nicht nur mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, sondern wird in einen regelrechten Kampf verwickelt mit etwas, das von außen kommt, das unberechenbar ist und wie ein Schicksal aussieht.
„Mein Denken und Arbeiten geistiger Art gehört, ob ausgesprochen oder nicht ausgesprochen, zu Berlin. … in diesem großen, nüchternen, strengen Berlin bin ich aufgewachsen, dies ist der Mutterboden, dieses Steinmeer, der Mutterboden aller meiner Gedanken“, schrieb Döblin um 1930, nachdem sein Roman Berlin Alexanderplatz erschienen war.
1929 setzte er sich in einem Vortrag mit der Frage der „Möglichkeit eines Eintritts von Literatur in den Rundfunk“ auseinander. Döblin erprobte diese Möglichkeit mit einer Hörspielfassung seines Romans, die er ganz auf das Schicksal der Hauptfigur reduzierte. Die Sendung des Hörspiels jedoch wurde 1930 kurzfristig aus dem Programm genommen, nachdem ein Fünftel des Hörspieltextes bereits gekürzt, das Manuskript entpolitisiert worden war. 77 Jahre später wird das Originalhörspielmanuskript nun erstmals ohne Kürzungen in Szene gesetzt…

  • „Döblin-Stammtisch“ (Fotostrecke)
  • Meisterhafte Neuproduktion

    „Es sei vorweggenommen: Diese neue, sich streng an das Döblin-Manuskript haltende Alexanderplatz-Interpretation unter der Regie von Kai Grehn ist meisterhaft gelungen und stellt die überfällige Wiedergutmachung an einem durch den Zeitgeist verstümmelten Text dar (wir notieren dies auch bei allem Respekt vor den Stimmen von Heinrich George, Günter Pfitzmann oder Walter Richter). Die von Döblin ursprünglich vorgesehenen Rhythmisierungen kommen jetzt in glänzend arrangierten Großstadtminiaturen zum Tragen. Vor allem sind jetzt alle politischen Anspielungen und gesellschaftlichen Verweise erstmals im Radio zu hören. Der Hörer wird in das Großstadtgeschehen mit seiner Tragik, Komik und Unerbittlichkeit suggestiv hineingezogen. Natürlich tragen auch die exzellenten Stimmen von Andreas Leupold (Biberkopf), Jule Böwe (Mieze) und Otto Mellies (Sprecher) zum Kunstgenuss bei. Ausschlaggebend für die vibrierende und fiebernde Großstadt um den Alex ist freilich eine wunderbare Choreografie von cantabilen Stimmen und Geräuschen, wie sie vor allem in der Opel-Fiat-Szene, im Schlachthaus oder in den finalen Marschbildem („und Schritt gefasst und rechts und links …“) zu Gehör kommt.
    Diese Biberkopf-Inszenierung für das Radio, etwas sophistisch und doch zu Recht als „Ursendung“ von SWR, BR und RBB gefeiert, dürfte zweifellos Geschichte schreiben, weil sie (endlich!) jenen Gestus ausstrahlt, der in allen bisherigen Radio-Annäherungen aus ganz unterschiedlichen Gründen fehlte. Der ganz neue Zugriff auf das Ur-Manuskript und die musikalische Animation der Stadt, das alles hat „Die Geschichte vom Franz Biberkopf“ im Radio des Jahres 2007 zu einem veritablen Geschenk an die Hörer und zum Vermächtnis für Alfred Döblin gemacht. Hier kamen ein Roman der Weltliteratur, eine Stadt und ihre Kunstfigur und eben Alfred Döblin meisterhaft zur Geltung.“

    (Christian Hörburger, Funkkorrespondenz, 29.6.2007)

    „Die Geschichte vom Franz Biberkopf“ als Hörspiel von Alfred Döblin klingt als wär sie erst gestern geschrieben worden. Von Regisseur Kai Grehn zackig, berlinesk und radikal inszeniert und von beeindruckenden Sprechern wie Andreas Leupold, Jule Böwe, Andreas Schmidt und Judith Hermann verkörpert, könnte sie heutiger nicht klingen. Für die Sounds sorgte übrigens kongenial die Band Tarwater.“
    (Radio Fritz, 01.08.2007)

    „Regisseur Kai Grehn hat das ungekürzte Original-Skript von Alfred Döblin überarbeitet. Das Ergebnis ist eine oft albtraumhaft wirkende Collage aus Dialogen, Bruchstücken von Liedern und Zeitungs-Schlagzeilen. Geschickt ergänzte er Großstadt-Geräusche, Synthesizer-Sounds und treibende Beats.
    Die Vorlage ist 77 Jahre alt, jedoch klingt das neue alte Hörspiel unglaublich modern. „Die Geschichte vom Franz Biberkopf“ ist ein zeitloses Dokument einer Großstadt und ihrer Menschen. Die CD ist über 80 Minuten lang und nicht immer leicht zu hören. Wer sich aber die Mühe macht, erlebt einen Meilenstein der Literatur- und Hörspiel-Geschichte!“

    (NDR2, 24.06.2007)

    „Zu Döblins 50. Todestag nun die Überraschung: Hatte es nach 1945 in Ost (DDR) wie West mehrere Neuproduktionen von „Berlin Alexanderplatz“ gegeben – darunter eine Bearbeitung nach der inzwischen aufgefundenen und „mühsam rekonstruierten“ Bingschen Schallplattenaufnahme durch Wolfgang Weyrauch -, so ermöglichte nun der Fund des Originalmanuskripts erstmals eine ungekürzte Version der Döblinschen Radiofassung. Zusammen mit den Musikern Kai-Uwe Kohlschmidt und Tarwater schuf Regisseur Kai Grehn eine vielstimmige, tieftraurige, eine hochmusikalische und zugleich energisch vom Wort gesteuerte Ballade zwischen Blues und Rap, die sich mühelos zwischen Alltagstristesse und dem „hohen“ Ton biblischen Pathos‘ bewegt. Deren Modernität verträgt sich gut mit dem unüberhörbar „alten“ Stoff. Knapp und lässig in ihrem Duktus, spannend im meist nur angedeuteten Geschehen und rührend zugleich bleibt sie doch der Leidensgeschichte des Titelhelden verpflichtet. Die vielen Weglassungen von Romanpassagen sind da leicht zu verschmerzen, schon weil den Stimmen aller Mitwirkenden, allen voran Andreas Leupold (Biberkopf) und Andreas Schmidt (Reinhold) eine staunenswert „körperliche“ Natürlichkeit gelingt.“
    (Christian Deutschmann, epd-Medien, 11.07.2007)

    „Regisseur Grehn hat mit Sprechern gearbeitet, die bislang nicht zur ersten Garde zählten, und hat gleichwohl eine erfrischend richtige Wahl getroffen. Voran mit Andreas Leupold in der Doppelrolle Biberkopf/Hiob und Andreas Schmidt als Reinhold.“
    (Stefan Fischer, Süddeutsche Zeitung, 22.07.2007)

    „Der Regisseur Kai Grehn arbeitet aber auch auf einer guten Grundlage. Döblin selbst hat „Die Geschichte vom Franz Biberkopf“ 1929 als komprimierte, heute noch rund 79 Minuten kurze Version seines großen Romans für das Radio zugerichtet. Grehn hält sich an diese Version, was den Ton anbelangt, transferiert ihn aber in unsere Gegenwart, indem er heutige großstädtische Musik und Rhythmen unter und hinter die Textpassagen mischt. Und er hält Andreas Leupold als Biberkopf an, seine Gesangspassagen in Anlehnung an den Brechtkomplizen Kurt Weill leicht und lapidar zu rezitieren. So ist nahezu alles stimmig in diesem Remake, das manchmal schon atemberaubend kurz die Geschichte des strauchelnden Transportarbeiters Biberkopf erzählt. Döblin bleibt deshalb in diesem Stück Döblin, trotz Kai Grehn. Eine Hommage, in die als Komparsensprecher auch Schriftsteller wie Judith Hermann, Thomas Brussig und Tanja Dückers einstimmen. Das Hörspiel ist ein rundum gelungenes Geschenk an Döblin.“
    (Hans-Joachim Graubner, Stuttgarter Zeitung, 23.06.2007)

    „Die Neuinszenierung der „Geschichte des Franz Biberkopf“ aktualisiert den alten Stoff und holt sie aus Weimarer Tagen in die Berliner Republik. Im Text geschieht das mit ganz kleinen Nuancen: Da wird mal mit einem winzigen eingefügten Wort das Ost-West-Gefälle angedeutet oder der Abriss des Republikpalastes, an dem sich soviel verdienen lässt. Ansonsten geschieht die Aktualisierung im 80-Minuten-Hörspiel durch die Originaltöne aus dem heutigen Berlin, durch Musik und vor allem durch die herrlich schnoddrigen Typen: Andreas Leupold und Jule Böwe, Andreas Schmidt, Otto Mellies, Dieter Mann, Rolf Zacher und viele andere geben dem Figurenensemble einen Berliner Sound, der den Alexanderplatz vor Augen holt: Das Gewirr einer großmäuligen Hauptstadt, das Elend in den U-Bahn-Schächten, und den harten Alltagskampf in einer Jetztzeit, die mehr mit dem Ende der Weimar Republik zu tun hat, als wir wahrhaben wollen. Das jedenfalls legt uns Regisseur Kai Grehn mit seiner großartigen Inszenierung nahe.“
    (MDR Figaro, 25.6.2007)