JAKOB VON GUNTEN
Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman
Mit: Alexander Fehling, Andreas Leupold, Jule Böwe, Jens Wawrczeck, sowie mit Schülern der Hamburger Klosterschule
Komposition: Kai-Uwe Kohlschmidt
Gesang: Dan Pelleg, Marko E. Weigert, Jule Böwe
Ton & Technik: Rudolf Grosser & Kerstin Heikamp
Regieassistenz: Mareike Maage
Länge: 84 min
Dramaturgie: Henning Rademacher
Hörspielbearbeitung & Regie: Kai Grehn
Eine Produktion des NDR 2007
JAKOB: Und der Traum, den man menschliches Leben nennt, nimmt eine andere Richtung.
Jakob von Gunten, der aus einem aristokratischen Elternhaus stammt, besucht eine im Hinterhaus einer Grosstadt gelegene heruntergekommene Dienerschule, das „Institut Benjamenta“. Den wenigen Schülern stehen Lehrkräfte gegenüber, die sich im Tiefschlaf zu befinden scheinen. Nur Fräulein Benjamenta, die Schwester des Institutsleiters, unterrichtet anstelle der scheintoten Lehrer die Zöglinge. Das perfekte „Sich-Kleinmachen“ und „Dienen“ ist das ausgemachte Erziehungsziel des seltsamen Instituts. Die Zöglinge sollen „wenig, aber gründlich lernen“. Jakobs Zukunftshoffnungen konzentrieren sich darauf, eine „reizende, kugelrunde Null zu werden“ (…), „eine Person sechsten Ranges im Weltleben“. Sein an skurriler Komik reiches „Tagebuch“ eines Internatszöglings schrieb Walser 1908 in Berlin. Es ist der dritte und avantgardistischste Roman des Schweizer Autors, der drei Jahre zuvor selber eine Dienerschule besucht hatte. In seinem Roman – einer radikalen Apologie des Dieners als Überlebensstrategie – formulierte Walser sein tiefes Unbehagen an den gesellschaftlichen Verwerfungen seiner Zeit.
Bemerkenswerte Wiederentdeckung
„Robert Walsers Romane gehören zu den verlorenen Schätzen, die geborgen werden sollten. „Jakob von Gunten“ ist der Tagebuchroman eines Sohnes aus kleinadeliger Familie, der zu Zucht und Demut auf eine Dienerschule geschickt wird. Kai Grehns jetzt bei NDR Kultur ausgestrahlte knapp anderthalbstündige Hörspielfassung und sorgfältige Inszenierung stellt sich dem Anspruch und schafft dabei etwas, was in solch stillem Tonfall und purem Klangbild mit leichten emotionalen Oszillationen nur selten zu hören ist. Ein Glücksfall ist dabei sicherlich Alexander Fehling in der Titelrolle: ein junger, ein kluger und sehr begabter Sprecher, dem man die Theaterschulung und -erfahrung anmerkt. Sachte träufelt diese Stimme Gift ins Ohr des Schulleiters Benjaminta. Jugendliches Desinteresse zeigt der Protagonist höflich, doch mit kaum verhohlener Ironie, dessen ältlicher Schwester Lisa, sozusagen in der Abendröte ihres Begehrens. Benjamintas eigene homoerotische Obertöne wischt ein kleines, doch kaum unterdrücktes Lachen hinweg. Bilderstürmende Raserei treibt die Traumszenen mit kunstvoller und technischer Brillanz voran, kein Wort verschluckt, jede semantische Eigenheit präsent und präzise. Virtuosität ohne falschen Zungenschlag – eine hervorragende Besetzungsentscheidung. Hier zeigt ein Kultursender wieder einmal, was er zu leisten vermag und wie er seiner eigentlichen Aufgabe gerecht wird. „Jakob von Gunten“ ist eine bemerkenswerte Wiederentdeckung.“
(Angela di Ciriaco-Sussdorff, Funkkorrespondenz, 22.02.2008)
„Den Romanen Robert Walsers haftet stets etwas Verblasenes an, das macht die immerhin hundert Jahre alten Werke auf eine zusätzliche, wenig charmante Art altmodisch. Insofern hat Kai Grehn Beachtliches geleistet mit seiner Hörspielbearbeitung und -inszenierung des Jakob von Gunten. Er konzentriert Robert Walsers Tagebuch-Roman auf den Aufenthalt der Titelfigur im Internat Benjamenta und auf die Beziehungen des Jungen zu seinem demütig gehorsamen Mitschüler Kraus sowie zu den herrischen Leitern dieser unproduktiven und dennoch persönlichkeitsprägenden Institution. Grehn beschleunigt das melancholische Erzähltempo also nicht, er kappt für sein 90-minütiges Hörspiel jedoch einige Aus- und Abschweifungen des Romans und nimmt ihm insgesamt etliche Betulichkeiten.
Vor allem aber hat Kai Grehn den denkbar besten Jakob gewählt: Alexander Fehling spricht die Titelrolle – auf die ihm eigene zarte, zögerliche Weise, jugendlich hellstimmig und dabei die mal blasierten, dann wieder kecken Ausbrüche der Figur einschließend. So entfaltet diese obskure Adoleszenzgeschichte, die in Walser’scher Zurückhaltung auch homosexuelle und im weiteren Sinn ödipale Phantasien beinhaltet, einen unerwarteten Reiz.“
(Stefan Fischer, Süddeutsche Zeitung, 20.02.2008)