ZAÏRE 74
(Kommt schnell, aber nähert euch vorsichtig)
Mit: Carlo Ljubek, Marek Harloff, Michael Schütz, Friederike Ott, Florian von Manteuffel, Sebastian Mirow, Isabelle Demey
Komposition: TARWATER
Ton & Technik: Daniel Senger & Sonja Röder
Regieassistenz: Constanze Renner
Länge: 72 min
Dramaturgie: Andrea Oetzmann
Regie: Kai Grehn
Eine Produktion des SüdWestRundfunk 2018
- Nominierung Grand Prix Nova 2020 (Drama Category)
RESCHKE: Die Blitze über dem Kongo sind nah, kommen näher – die Menschen zählen: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 -, das Donnern aber klingt noch fern. Die Regenzeit hat still gehalten, damit Ali und Foreman aufeinander treffen können in der Arena unter freiem Himmel, in der hunderttausend Menschen rufen werden: Ali, boma ye! Ali töte ihn!
Zaïre im September 1974. Der ehemalige Sportredakteur Harry Reschke will seine vermeintlich letzte Chance nutzen und es allen zeigen, nachdem er alles verloren hat: Frau und Kinder, Häuschen im Grünen, den gutbezahlten Job. Vom Kokain ist er weg, die Psychose, die ihn zu den Drogen trieb, ist überstanden. Jetzt will Reschke eine große literarische Reportage raushauen über den Rumble in the Jungle, über das Boxen, über Helden, über Gewinner und Verlierer, über Schwarze und Weiße, über Befreiung und Revolution. Da macht das Gerücht die Runde, George Foreman habe sich im Sparring einen Cut an der Augenbraue zugezogen – möglicherweise das Ende für den vermeintlich größten Boxkampf aller Zeiten. Doch Diktator Mobutu zahlt über zehn Millionen Dollar, stellt seinen Nationalpalast als Trainingsstätte zur Verfügung. Also wird der Kampf verschoben um sechs Wochen, den Boxern die Ausreise verweigert bis zum neu angesetzten Kampftag. Und Reschke, der im Wahnsinn des diktatorischen Staates zunehmend den Bezug zur Realität verliert, bleibt nichts anderes übrig als ebenso auszuharren. Entgegen aller Vorhersagen besiegt Ali in den frühen Morgenstunden des 30. Oktobers 1974 Foreman in acht grandiosen Runden durch K.O. und widerlegt die alte Boxerregel »They never come back«. Wenige Wochen nach dem Kampf trifft per Luftpost aus Kinshasa ein Manuskript bei einem großen Verlag ein und landet auf dem Stapel für unverlangte Einsendungen. ZAÏRE 74 – von Harry Reschke.
Schwitzende Sportreporter
„Patrick Findeis, der erst ein Jahr nach dem Kampf geboren worden ist, schildert diese fiktive Geschichte innerhalb der realen Ereignisse in seinem Hörspiel Zaïre 74, das Kai Grehn mit einer opulenten, trotzdem klug austarierten Tonspur inszeniert hat. Der Kampf ist seinerzeit wegen einer Verletzung Foremans um einige Wochen verschoben worden, und so hing der gesamte Tross fest in den afrikanischen Tropen. Nicht nur das Klima setzt Reschke zu, den Carlo Ljubek spricht – eine im Hörspiel bislang angenehm unverbrauchte Stimme. Reschke leidet auch an seiner finanziellen Situation und an paranoiden Schüben, die dem langen Kokain-Konsum geschuldet sind.
Gegengeschnitten mit diesem Sog in die Tiefe sind die elektrisierende Stimmung vor dem Kampf – das wichtigste Sportereignis in ganz Afrika bis dahin – sowie die grundsätzliche Aufbruchsstimmung in Zaire und der Stolz darauf, dass die ganze Welt nun auf das Land blickt. Gleichzeitig ist vieles dubios, jedenfalls in der Wahrnehmung des Fremden, der sich überdies seiner Sinne nicht sicher sein kann. Was innerhalb dieser Geschichte real ist und was eine Wahnvorstellung, ist nicht immer klar auszumachen. Das ist der Reiz dieses akustischen Nachtmahrs.“
(Stefan Fischer, SZ, 08.06.2018)