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Kai Grehn DER BERG, ÜBER DEN KEIN VOGEL FLIEGT – Staatstheater Karlsruhe

Uraufführung am 21.02.2009

 
Hermann: Thomas Birnstiel
Puppenspieler: Thomas Hänsel und Friederike Krahl

Regie: Knut Weber
Bühne: Steven Gordon Koop
Kostüme: Ursina Zürcher
Musik: Nina Wurman
Puppenbauer: Lutz Grossmann
Dramaturgie: Gabriele Rebholz
Doppel-Uraufführung mit dem Theater Basel

„Am schnellsten «nachgespielt», nämlich in einer Doppel-Uraufführung mit dem Theater Basel präsentiert, wurde die inhaltlich und stilistisch eigenwilligste Arbeit (des Schlaglichter-Festivals). «Der Berg, über den kein Vogel fliegt» von Kai Grehn, beruhend auf Erlebnissen des Autors bei der Begleitung einer Nanga-Parbat-Expedition, ist gewissermaßen ein Monolog in Dialogform: Der abgestürzte Gipfelstürmer Hermann redet auf einer Felskante mit sich selbst, um gegen das tödliche Einschlafen anzukämpfen, und halluziniert sich hierfür auch die Göttin des Berges und seinen vor etlichen Jahren verunglückten Seilkameraden herbei, mit dessen ExFrau er jetzt zusammenlebt.
Thomas Birnstiel hängt in der Inszenierung von Schauspieldirektor Knut Weber gut drei Meter über den Zuschauern und hantiert eindrucksvoll mit den Brocken des philosophisch-poetisch mäandernden Textes. Doch szenisch wäre er auf verlorenem Posten ohne die Puppen des Karlsruher Figurentheaters «marotte», die Hermanns Visionen surreale Gestalt verleihen.“

(Andreas Jüttner, Theater heute, 04/2009)

„Dem nahenden Tod blicken die Protagonisten am dritten Abend ins Auge. Der Berliner Autor Kai Grehn reiste gemeinsam mit Bergsteigern zum Nanga Parbat, einem der gefährlichsten Achttausender im Himalaya. Während Grehn im Basislager ausharrte, bestiegen fünf Bergsteiger den Gipfel, einer starb beim Abstieg. Drei Jahre später fasste Grehn die Erlebnisse in den theatralischen Monolog „Der Berg, über den kein Vogel flog“. Den mal poetisch, mal existentiellen, mal halluzinatorischen Text inszenierte Knut Weber mit Thomas Birnstil in der Hauptrolle sowie den beiden Puppenspielern Thomas Hänsel und Friederike Krahl.“
(Ute Bauermeister, Badisches Tagblatt, 23.02.2009)

„Das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen“, sagt Kai Grehn über die Himalaya-Expedition, die seinem Stück „Der Berg, über den kein Vogel fliegt“ zugrunde liegt. Denn Grehn hatte bereits vor der Expedition auf den Nanga Parbat, bei der er und vier weitere Künstler 2004 den Alpinclub Sachsen bis ins Basislager begleiteten, das Stück konzipiert. „Es war klar, dass es um einen Bergsteiger gehen soll, der nach einem Absturz auf einer Felsplatte sitzt und um sein Überleben kämpft. Und das Fatale und Mysteriöse ist, dass genau das dann passiert ist.“
Beim Versuch, einen Gestürzten zu retten, kam es zu einem weiteren Absturz. Der Betroffene kämpfte sich aus eigener Kraft wieder die Felswand hinauf – ohne Eispickel. „Das ging dann so: Fünf Schritte, eine Handvoll Schnee essen. Fünf Schritte, eine Handvoll Schnee essen, gegen das Dehydrieren“, erzählt Grehn. „Bei Einbruch der Nacht musste er sich entscheiden, ob er die Ohren oder die Hände erfrieren lassen soll, weil er weder Mütze noch Handschuhe mehr hatte.“ Es hat die Ohren getroffen. Der erste Abgestürzte war nicht mehr zu retten, der zweite wird mit Kai Grehn zur Premiere des Himalaya-Stücks nach Karlsruhe reisen und nach der Premiere am Samstag an einer Gesprächsrunde teilnehmen.
Grehn sieht an seinem Stück zwei Facetten: „Es ist sehr geerdet durch das, was mir Markus Walter von seinem Absturz und seinem Überlebenskampf erzählt hat, und es hat eine große Freiheit in den Szenen, die bestimmt sind von den Halluzinationen, die die Stückfigur Hermann heimsuchen. Dort konnte ich Themen unterbringen, die mich interessieren.“
Dazu gehört vor allem die vielschichtige Beziehung zwischen Mensch und Berg. „Was treibt Menschen, so etwas zu tun?“, fragt Grehn. „Ein Bergsteiger hat mir erzählt, dass er nach dem Tod von einigen Seilkameraden aufhören wollte, aber nichts gefunden hat, was ihm eine vergleichbare Empfindung gibt.“ Wie man sein Stück und vor allem dessen außergewöhnlichen Schauplatz („wenn man vor der Rupal-Flanke steht, mit 4 500 Metern die höchste Steilwand der Welt, dann kommt man an die Grenzen des Sagbaren“) auf die Bühne bringen soll, lässt Grehn den Regisseuren offen.
Auf den Ansatz von Karlsruhes Schauspieldirektor Knut Weber ist er gespannt: „Ich denke, der Versuch, die Welt um Hermann herum mit Puppen darzustellen, ist ein poetischer Ansatz, der leichteren Zugang zu dieser Welt erlaubt.“ Schon vier Tage später kann er am Theater Basel einen ganz anderen Ansatz erleben. Und am 8. März ist die von Grehn selbst inszenierte Hörspielversion auf SWR2 zu hören.

(Andreas Jüttner, Badische Neuste Nachrichten, 17.02.2009)