ORSON WELLES probt MOBY DICK – Leseprobe
Aus dem Englischen von Kai Grehn
© henschel SCHAUSPIEL
(…)
ALTER PROFI.
Ich hab Durst. Kommt der Direktor nicht?
JUNGER SCHAUSPIELER.
Natürlich; er gibt Pater Mapples Predigt und den Ahab. Wie Sie wissen, werden wir alle doppelt besetzt. Das ist für diese Truppe durchaus nichts Neues. Der Inspizient liest verschiedene Stimmen der Schiffsbesatzung. Sie sind Peleg –
ALTER PROFI.
(Unterbrechend.) Vielleicht, aber ich habe auch Durst.
JUNGER SCHAUSPIELER.
Keine Sorge, nach der zweiten Kajütenszene lassen wir den Vorhang fallen –
ISPIZIENT.
Nur ein Bier, meine Herrn, bitte – vergessen sie nicht, wir müssen hier pünktlich raus, damit die Bühnenarbeiter alles für heute Abend einrichten können.
ZYNISCHER SCHAUSPIELER.
(Zum JUNGEN SCHAUSPIELER.) Nur zu meiner Information, Jungchen – haben Sie den Direktor davon überzeugt, dass wir ihm ein Schiffswrack, einen Taifun und einen großen weißen Wal auf die Theaterbühne bringen können – in einer Zwei-Dollar-Klitsche?
JUNGE SCHAUSPIELERIN.
Einen weißen Wal?
ZYNISCHER SCHAUSPIELER.
Die Titelrolle, meine Liebe. Man hätte erwarten können, dass der Direktor höchstselbst den Moby Dick spielen wird; aber nein, ich verstehe, er soll ganz und gar unsichtbar sein. Der Wal, versteht sich – nicht der Direktor.
ALTER PROFI.
Selbstverständich ist er unsichtbar. Um Gottes willen, wie könntest du so etwas auf die Bühne bringen?
SCHAUSPIELER MIT DER ZEITUNG.
Wir könnten es versuchen. Es gibt in Barnums Museum im oberen Stadtteil einen ausgestopften Wal, der an einem Montagmorgen mehr einspielt, als wir mit einer Woche Shakespeare – einschließlich der Matineen.
JUNGER SCHAUSPIELER.
(Noch immer mehr zu der JUNGEN SCHAUSPIELERIN als zu den Anderen.) Der weiße Wal ist wie der Sturm in „Lear“ – er ist real, aber er ist mehr als real; er ist eine Idee im Kopf.
(…)